Vor 80 Jahren flüchteten viele Stollhofer vor der Front, die sich Ende des zweiten Weltkrieges auch entlang unserer Heimat erstreckte, auf die Hohe Wand. Etwa 250 Menschen fanden im Gipsloch
Zuflucht und verharrten dort 2 Wochen bei Hunger, Angst und Kälte.
Zum Gedenken an diese schreckliche Zeit marschierten wir am Ostermontag dem 21. April über die alte Wandstraße und den Saugraben bis zur besagten Höhle. Dort hielten P. Markus
und P. Sebaldus eine Andacht und wir beteten für den Frieden auf der Welt. Vorgelesene Berichte von Zeitzeugen (weiter unten nachzulesen) veranschaulichten die Geschehnisse. Im Anschluss
fand eine Messe in der Engelbertkirche statt und zum Ausklang gab es eine kleine Agape.

Zeitzeugen berichten vom Ende des Zweiten Weltkrieges an der Hohen Wand
Gründonnerstag 29. März 1945
Alles in größter Aufregung. Die Russen nahe an der österreichischen Grenze. Deutlich vernahm man bald schon den Geschützdonner von der nahen Front. Alles bereitete sich zur Flucht vor. Panzer rollten durch die Dörfer, viele Geschütze waren in der Neuen Welt aufgestellt.
Ostersonntag 1. April 1945
"Herrliches Wetter, strahlender Frühlingstag in schwerster Zeit. Unter dem Dröhnen der Kanonen und dem unaufhörlichen Lärm der feindlichen Flieger wurde noch mit größter Feierlichkeit der Gottesdienst gefeiert."
"Gegen 8h abends wurde das große Pulverlager im Föhrenwald gesprengt. Lichterloh schien der Himmel zu brennen, eine Detonation folgte der andern, eine übertraf die andere an Schaurigkeit. Ununterbrochenes Artilleriefeuer von der Front am Steinfeld, taghell alles erleuchtet, jeden Grashalm konnte man zeitweise unterscheiden."
"Auch am Morgen des Ostermontags 1945 herrschte wunderbares Wetter als Angehörige der Waffen-SS Stollhof passierten und riefen: „Leutln rennts, der Russ‘ ist da!“
"Die Frauen mit den Kindern und die älteren Leute entschlossen sich zur Flucht, die Männer waren zum Großteil eingerückt. Auf Ochsen- und Pferde- leiter und Truhenwägen wurden zum Teil Planendächer aufgebaut, unter denen kleine Kinder und ältere Leute Schutz fanden. Einige Laib Brot, Speck, Eier, Tuchenten, Dokumente und Hausrat, sowie Heu für die Zugtiere wurde verladen und so ging es auf die Hohe Wand."
"Da die Tiere durch Futtermangel sehr geschwächt waren, ging es nur langsam vorwärts. Nur Kranke und Gehbehinderte durften auf den Wagen bleiben, alle anderen Personen mussten zu Fuß gehen. Die Wandstraße war nicht asphaltiert und daher sehr steinig. In der Gegend von Netting konnte man schwarze Fahrzeuge, vermutlich Panzer erspähen. Am Platz vor dem Gasthaus Stickler wurden die Tiere gefüttert und getränkt. Dann ging die Fahrt in den Saugraben, wo die alten Männer eine Höhle wussten, die uns vor den Kriegswirren schützen sollte."
"Zufluchtstätten waren auch Heuhütten, 30-40 Dorfbewohner suchten Schutz in aufgelassenen Bergwerkstollen, einige in Löchern nahe beim Leiterl- und Hanselsteighaus."
"Am Gipsloch angekommen stellte sich heraus, dass einige Ortsbewohner schon Tage zuvor Vorbereitungen für die Flucht getroffen und ihre Habseligkeiten bereits in der Höhle deponiert hatten."
"Ca. 200-250 Menschen fanden im Gipsloch Zuflucht. Die Felsenhöhle liegt an einem Hang und der Eingang ist beschwerlich zu überwinden. Für eine gehbehinderte Frau wurde eine Tragbahre aus jungen Bäumen und Waldrebe hergestellt und so wurde diese Frau in die Höhle gebracht. Es war sehr feucht drinnen, es kamen immer wieder Wassertropfen von den Felsen herunter. Rund um das Gipsloch war ein ganzes Dorf von Reisighütten errichtet. Vor jeder Hütte brannte ein offenes Feuer. Die Lagerfeuer sollten uns aufwärmen, durften aber keinen Rauch entwickeln, um nicht entdeckt zu werden."
"Die Höhle wurde mit Tannenreisig ausgelegt und so die Nachtlager hergerichtet. Im Gipsloch drinnen war eine Schlafstätte neben der anderen. Einmal war in der Früh alles weiß, es hatte geschneit."
"Einige Leute blieben bei den Wägen und Tieren, die in größeren Abständen unter starken Bäumen abgestellt waren, um zu verhindern, dass, wenn ein Geschoß einschlägt, nicht mehrere Personen und Tiere zu Schaden kommen. Unter schwierigsten Umständen musste Heu herbeigeschafft und das Vieh zur Tränke gebracht werden."
"In der Nacht tobten die Kämpfe, und Geschoße schlugen krachend in die Baumstämme ein. Immer wieder flüchteten die Leute bei Fliegerangriffen in Panik in das Gipsloch."
"Einige mutige Männer und alte Frauen blieben im Dorf, um das zurückgebliebene Vieh zu versorgen. Andere Bauern sind ein paar Mal runtergegangen, um das Vieh zu füttern."
"Am 13. April 1945, nach fast zweiwöchigem Aufenthalt im Gipsloch, stand plötzlich ein Offizier vor dem Höhleneingang und schrie ins Innere, die Höhle müsse innerhalb einer Stunde - bis 5 Uhr -geräumt sein, sonst werde wahllos hineingeschossen. Die Menschen machten sich mit den Fuhrwerken auf den Weg ins Ungewisse."
"Als wir auf die Vorderseite des Plateaus kamen, bot sich ein schauriges Bild – roter Himmel über dem Schindelboden. Der Stall auf der Wand, Häuser im Dorf und der Loderhof haben gebrannt. Auf dem Rückweg ist noch geschossen worden und in manche Wägen haben Geschoße eingeschlagen. Man musste an vielen toten Soldaten vorbei. Verendete Pferde lagen herum. Die Wägen wurden von den Russen durchstöbert. Von weitem sah man blühende Gärten, aber auch das arg verwüstete Dorf."
"Am 14. April passierten wir frühmorgens nach Durchquerung des Frontgebietes von der Hohen Wand her das Dorf: Es bot einen Anblick, den man sich nicht trostloser vorstellen kann. 15 Häuser waren niedergebrannt, verweste Kadaver lagen herum, überall Telephon- und Lichtleitung zerstört, an allen Häusern sah man die Spuren des Artilleriebeschusses, dazwischen hinein vernahm man das wilde Geschrei und Getue der Russen, die wie Vandalen hausten und plünderten. Es gab kein Haus in dem sie nicht alles auf den Kopf stellten."
"Auf Befehl der Russen durfte man nicht im Dorf bleiben. Unter Feuergefecht zog man weiter nach Weikersdorf und Bad Fischau."
"In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai begann ein ganz fürchterliches Schießen. Bald klärte sich das alles auf: Im russischen Radio wurde die Kapitulation Deutschlands verkündet. Am Tage Christi Himmelfahrt (10. Mai 1945) war zum ersten Mal wieder feierlicher Gottesdienst mit Orgelspiel, es wurde wieder mit der Glocke geläutet und vom Pfarrhaus wehte wieder Österreichs Flagge: Rot-weiß-rot!
Quellen: P. Hadmar Borowan (Pfarrchronik Muthmannsdorf), Hermine Fitzthum (Schulchronik Stollhof), Berta Heißenberger, Rudolf Kastner, Martha Ostermann und Dr. Rudolf Weber
Fotos: Marianne Rechberger, Brigitte Klauser, P. Sebaldus, Veronika Klauser
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